Philip K. Dick und einige seiner Bewunderer

Von Heiko Arntz

 

 

1.

«Zu erleben, wie persönliche Hausheilige massentauglich werden, ist nicht unbedingt angenehm, es hat etwas Verstörendes. Einst fürchtete man, die großen Meister würden am Ende nie zu Ruhm und Ehren gelangen, jetzt ärgert man sich, daß sie den verdienten Ruhm aus den garantiert falschen Gründen erhalten», schreibt Dave Itzkoff (am 24. Juni 2007) in der ‹New York Times Book Review› aus Anlaß des Erscheinens des Sammelbandes Four Novels of the 1960s des Science-fiction-Schriftstellers Philip K. Dick in der renommierten Klassikerreihe des Verlags The Library of America. Der Band vereint die Romane The Man in the High Castle, The Three Stigmata of Palmer Eldritch, Do Androids Dream of Electric Sheep? und Ubik auf 830 in Leinen gebundenen Dünndrückseiten, mit Fadenheftung, Lesebändchen, Anmerkungen und Chronologie (35 Dollar). Dort nimmt er seinen Platz ein neben den Werken von Poe und Cooper, Melville und Faulkner. Vom Groschenheft zum Klassikerverlag – Philip K. Dick hat es ganz offensichtlich geschafft. Doch den Weg des Ruhms ist er selbst nur ein kurzes Stück mitgegangen.

 

Geboren 1928 in Chicago, aufgewachsen und beheimatet in Kalifornien (lange Jahre in Berkeley, zuletzt in Santa Ana), beginnt Philip K. Dick 1952, erste Science-fiction-Geschichten zu veröffentlichen. Schon bald ist er einer der produktivsten Autoren des Genres (im Jahr 1953 veröffentlicht er in fünfzehn verschiedenen Magazinen). Mitte der Fünfziger beginnt er, Romane zu schreiben, auch realistische Romane, denn er sehnt sich nach literarischer Anerkennung, und das Genre Science-fiction ist (nicht nur in Berkeleys Intellektuellenkreisen, in denen Dick verkehrt) völlig indiskutabel. Dick selbst sagte von sich, daß SF-Literatur ihn kaum beeinflußt habe, er las Kafka, Thomas Mann, Flaubert und Joyce, doch für seine realistischen Texte fand er zu Lebzeiten keinen Verleger. 1959 erscheint sein Roman Time Out of Joint, der auf den ersten 100 Seiten realistischen Alltag in einer nordamerikanischen Kleinstadt der späten fünfziger Jahre schildert. Erst sehr allmählich mehren sich die Anzeichen, daß die geschilderte Realität nur eine Illusion ist. Das Buch ist Dicks erster Hardcover-Titel und wird nicht als SF-Roman etikettiert, sondern als «Novel of Menace» (also als Roman einer Bedrohung). Den Durchbruch erlebt Dick mit seinem Roman The Man in the High Castle (1962), der mit dem renommierten Hugo ausgezeichnet wird. Auch in diesem Roman wird vor allem sehr realistisch Alltag beschrieben, allerdings der einer Parallelwelt, in der Deutschland und Japan den Zweiten Weltkrieg gewonnen haben und Kalifornien von Japanern verwaltet wird. Und Durchbruch heißt: Dick genießt hohes Ansehen, finanziell krebst er weiter vor sich hin. Tantiemen aus den zahlreicher werdenden Übersetzungen machen die Situation halbwegs erträglich (er erscheint – im Jahr 1975 – in Frankreich, England, Deutschland, Japan, Italien, Polen, Holland, Portugal, Spanien, Dänemark, Schweden). 1964 erscheint sein Roman The Three Stigmata of Palmer Eldritch, den später John Lennon zu einem Film machen möchte, und 1966 Ubik, der zu Dicks Aufnahme ins «absurdistische» Collège de ’Pataphysique führt.

 

Doch der eigentliche Ruhm setzte erst – wie es so zu gehen pflegt – nach dem Tod des Autors ein. Vermittelt nicht durch den Literaturbetrieb, sondern durch die Filmindustrie. Denn Dick ist zur entscheidenden Inspirationsquelle für das Kino geworden. «Er ist heute», so Adam Gopnik im ‹New Yorker› (im August 2007), «für den modernen SF- und Mystery-Film das, was Raymond Chandler für den Film Noir war».

 

Die Entwicklung setzte bereits zu Lebzeiten des Autors ein, als Ridley Scott Dicks Roman Do Androids of Electric Sheep? als Blade Runner mit Harrison Ford verfilmte – Dick sah kurz vor seinem Tod (1982) eine Vorabvorführung. Der Film war zunächst kein sonderlicher Erfolg, aber ungemein einflußreich. 1990 folgte Total Recall, Paul Verhoevens Adaption der Erzählung We Can Remember it for You Wholesale (Erinnerungen en gros). Ein Riesenerfolg. «Nach Total Recall begannen die Preise für Dicks Werke langsam, aber sicher in die Höhe zu gehen. Davor war Dick in Hollywood ein Unbekannter», zitiert Frank Rosen im deutschen ‹Rolling Stone› (im Februar 2004) den Literaturagenten Russel Galen, der seit einigen Jahren die Erben von Philip K. Dick vertritt (zwei Töchter und einen Sohn aus drei seiner fünf Ehen). Danach wurde der Roman Time out of Joint an Warner Brothers verkauft und die Erzählung The King of the Elves (Der König der Elfen) an Disney. 1995 kam Screamers – Tödliche Schreie in die Kinos (basierend auf der Erzählung Second VarietyVariante zwei) und 2002 Impostor (nach der gleichnamigen Erzählung, auf deutsch Hochstapler). Aber es war Steven Spielbergs Verfilmung der Erzählung The Minority Report (2002) (Der Minderheiten-Bericht) mit Tom Cruise in der Hauptrolle, die Dick zu einem der ganz großen Namen und zum bevorzugten Stofflieferanten für Big-Budget-Filme in Hollywood machte. Seither folgte John Woo mit seiner Verfilmung der Erzählung Paycheck (2003) (Zahltag) mit Ben Affleck und Uma Thurman in den Hauptrollen und Richard Linklater mit der Adaption des Romans A Scanner Darkly (2006) mit Keanu Reeves und Winona Ryder. Weitere Verfilmungen sind seit Jahren in Planung, darunter etwa The Short Happy Life of the Brown Oxford (Das kurze glückliche Leben des braunen Halbschuhs) oder Adjustment Team (Umstellungsteam). Und noch nicht genannt sind all jene Filme, die in der einen oder anderen Form Dicksche Motive und Ideen verarbeiten: der Plot von The Truman Show (mit Jim Carrey) findet sich bereits in Time Out of Joint, die Matrix-Filme leben von der Prämisse, die Dick immer wieder seinen Erzählungen und Romanen zugrundelegt: daß eine Realität künstlich geschaffen wird, um die Menschen, die in ihr leben, zu täuschen.

 

Philip K. Dick hatte selbst bereits 1974 seinen Roman Ubik zum Drehbuch umgearbeitet. Der Roman spielt in einer Welt, die von einer sonderbaren Form des Verfalls heimgesucht ist, alle Geräte, Maschinen, Gebrauchsgegenstände nehmen nach und nach die Gestalt ihrer Vorläufermodelle an. Der moderne Lift verwandelt sich in einen Aufzug mit Drahtkäfig und so weiter. Dick schlug vor, dieses regressive Prinzip auf den Film selbst zu übertragen und nach und nach älteres Filmmaterial zu verwenden und die Art der Regie alten Filmen anzupassen. Man darf vermuten, daß die kommende Big-Budget-Produktion auf diese schöne Idee keine Rücksicht nimmt.

 

 

2.

Bei keinem anderen Autor hat es mir als Lektor im Haffmans Verlag so viel Spaß gemacht, Klappentexte zu schreiben, wie bei Philip K. Dick, bei keinem anderen Autor gab das Pressearchiv überschwänglicheres Lob her: «Der beste SF-Autor aller Zeiten und Welten.» Das läßt sich hören. Und man mußte nicht einmal ein schlechtes Gewissen haben, denn Dicks Kollegen sahen es ja genauso. Kollege Thomas M. Disch: «John Brunner lobte ihn als den besten SF-Autor der Welt, Norman Spinrad überbot ihn mit ‹der wichtigste amerikanische Autor der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts›, Ursula LeGuin nannte ihn den amerikanischen Borges, und Harlan Ellison den Pirandello, den Beckett, den Pinter der Science-fiction. Brian Aldiss, Michael Bishop, ich selbst und viele andere – alle haben wir sein Lob gesungen. Nicht, daß das an den Verkaufszahlen damals viel geändert hätte.»

 

Aber auch berufsmäßige Kritiker äußern sich nie ganz gelassen zu Dick. Und auch sie sind in ihrer Begeisterung, wie Adam Gopnik im ‹New Yorker› bemerkt, nicht eben wählerisch, wenn es um Vergleiche geht: «Borges, Calvino, Kafka, Robertson Davies werden genannt, wenn es gilt, in Vorworten und Klappentexten Dicks Rang herauszustreichen. Etwas Widersprüchliches haftet diesen Vergleichen stets an: Calvino und Robertson Davies? Aber die Kritiker meinen es sehr ernst, und man wird das Gefühl nicht los, daß es sich dabei – trotz aller Verfilmungen, trotz allseitiger Lobeshymnen – um gut gemeinte Schutzbehauptungen handelt.»

Dave Itzkoff schreibt: «Bei allem, was über ihn geschrieben wurde, ist mir doch noch kein Text untergekommen, der Dicks schriftstellerische Leistung wirklich zu würdigen gewußt hätte. Die meisten Porträts verpassen dem Autor eins der üblichen Etiketten: Da gibt es den großen Visionär, der alles vorhergesehen hat vom Internet bis zum Massaker vom Tiananmen-Platz. Es gibt den Hedonisten mit seinen fünf Ehefrauen, dessen Drogenkonsum zu Gesprächstherapien und erniedrigenden Krankenhausaufenthalten führte. Es gibt den entrückten Schamanen, der zuletzt von mystischen Erfahrungen heimgesucht wurde. Es gibt den Workaholic, der es nicht mehr erleben durfte, wie aus seinen Groschenheftgeschichten Multimillionendollarfilme mit Arnold Schwarzenegger und Tom Cruise wurden. Selbst ein kürzlich erschienener Aufsatz von Jonathan Lethem, dem Herausgeber der Four Novels-Anthologie, kommt nicht ohne die üblichen Etiketten aus: Dick, heißt es, sei ein bißchen wie Dostojewski, ein bißchen wie Robert Altman, ein bißchen wie Bob Dylan.»

 

Dicks schriftstellerische Leistung zu würdigen, ist in der Tat nicht ganz leicht. Es geht schon damit los, daß man wohl keine zwei Dick-Fans findet, die sich auch nur annähernd auf einen Kanon der besten Romane oder Erzählungen einigen könnten. Für Dave Itzkoff ist der Parallelwelt-Roman The Man in the High Castle einer der wichtigste amerikanische Romane überhaupt, für Adam Gopnik «einer der untypischsten und am wenigsten interessanten von Dicks Romanen aus den Sechzigern», Itzkoff nennt Ubik ein Selbstplagiat, Gopnik «Dicks Meisterwerk». Paul Williams wählt für seine «Top 40»-Liste in seinem Buch The 20th Century’s Greatest Hits Dicks Roman A Martian Time-Slip aus – aber nur stellvertretend, als pars pro toto für den «Meta-Roman», der, so Williams, aus Dicks sämtlichen Romanen besteht und an dem er sein Leben lang schrieb. Das ist kein fauler Kompromiß, sondern trägt in der Tat einer wichtigen Beobachtung Rechnung, die Williams macht: «Der Meta-Roman ist in gewisser Weise unteilbar, und man kann nicht einzelne Romane wie Martian Time-Slip oder The Man in the High Castle oder Ubik oder The Transmigration of Timothy Archer, so großartig sie sind, herauspicken und sie als Einzelwerke neben Moby Dick oder Huckleberry Finn oder Bleak House stellen, Werke, die für sich allein den Ruhm ihres Autors begründen könnten.»

 

Adam Gopnik drückt es so aus: «So gerne man Dick über oder wenigsten neben Pynchon oder Vonnegut – oder, warum nicht, Chesterton oder Tolkien – stellen möchte, als Dichter und Schöpfer phantastischer Parabeln war er einfach ein ziemlich lausiger Schreiber. Und obwohl er in seiner Erfindungsgabe den genannten Autoren in nichts nachsteht, war er nun mal, und dessen war er sich bewußt, bis zuletzt seiner Trivialschreibe verhaftet. Wenn man einen Dick-Roman durchgelesen hat, bewundert man jeden einzelnen seiner Einfälle und nicht einen einzigen schönen Satz.»

 

Der erste Satz der schönen Erzählung ‹Die kleine Black Box› beginnt so:

 

Bogart Crofts vom Außenministerium sagte: «Miss Hiashi, wir möchten Sie nach Kuba schicken ...»

 

Das nächste Unterkapitelchen beginnt nach einer Leerzeile so:

 

Zu Ray Meritan sagte sie: «Ich muß raus aus Los Angeles ...»

 

Wobei «sie» jetzt Miss Hiashi aus dem Abschnitt davor ist. Und wie beginnt das nächste Kapitel?

 

Außenminister Douglas Herrick sagte zu Bogart Crofts: «Ich glaube ...»

 

Man mag das als «Ökonomie der Mittel» loben, wie dies Patricia Warrick tut in ihrem Buch Mind in Motion – The Fiction of Philip K. Dick, als Lektor wittert man eher Schlamperei. Aber es ist ja bekannt, wie Dicks Texte entstanden: ohne große Vorbereitung, in Höchsttempo, durchschnittlich zwei Romane pro Jahr (in den Jahren 1963/64 bringt er es auf insgesamt zehn), eine Erzählung wurde am besten in einer Sitzung in die Schreibmaschine gehauen. Für formale, stilistische Überlegungen war da keine Zeit. «Es ist nicht sein exquisiter Stil, für den er gelobt wird, oder die Tiefe seiner Charakterschilderungen», schreibt Thomas M. Disch im Vorwort zu den Collected Stories. «Selbst seine besten Erzählungen haben in der Regel nicht mehr ‹Tiefe› als eine Fünfziger-Jahre-Sitcom. Und selbst die Geschichten, die davon eine Ausnahme zu machen scheinen, haben, bei näherer Betrachtung, immer noch mehr mit Ray Bradbury und E. A. Van Vogt zu tun als mit Borges oder Pinter. Dicks Narration ist so schlicht strukturiert wie ein Comic. Warum also die große Aufregung um Dick? Für SF-Fans keine Frage: Weil er großartige Ideen hatte.»

 

Philip K. Dick fühlte sich nicht der Literatur verpflichtet, sondern den Ideen. «Der wahre Held einer Science-fiction-Geschichte», schrieb Dick 1981, «ist eine Idee, nicht eine Person.» Und er hatte einfach die besten Ideen.

 

 

3.

Nicht, daß ihm die Personen in seinen Geschichten gleichgültig gewesen wären. Im Gegenteil: Sie interessieren ihren Autor mit alle ihren Sorgen und Nöten. Es gibt kaum einen Helden bei Dick, von dem wir nicht auf der ersten Seite erführen, womit er seinen Lebensunterhalt verdient und welche Probleme ihn drücken (und es drücken ihn immer Probleme). James Tiptree jr. – das ist Alice B. Sheldon – wies in ihrem Vorwort zu den Collected Stories darauf hin, daß dies eins der vorherrschenden Merkmale der Geschichten und Romane sei, daß wir gewöhnliche Menschen dabei erleben, wie sie sich abstrampeln bei dem Versuch, irgend etwas Wichtiges zu erledigen – oder wenigsten herauszufinden, wer ihnen dabei Knüppel zwischen die Beine wirft. (Und sie weist bei dieser Gelegenheit auf ein weiteres Charakteristikum hin. In vielen Dick-Geschichten gibt es das «kleine Tier»: «Das kleine Tier ist häufig ein Mutant oder ein kleiner Roboter in Tiergestalt. Und was macht das kleine Tier? Es strampelt sich ebenfalls ab.»)

 

Von den Tieren abgesehen: Philip K. Dicks großes Thema ist in der Tat der Mensch in seiner Welt. – Das Verhältnis von Mensch und Gesellschaft? Von Innen(welt) und Außen(welt)? In der Hochliteratur ein alter Hut, es ist das Thema des klassischen Bildungsromans ebenso wie des phantastischen Romans der Romantik (man denke an E. T. A. Hoffmanns Goldenen Topf). In der Science-fiction-Literatur aber ist es nach wie vor höchst ungewöhnlich. Und es ist klar, daß Dick das Thema mit seinen phantastischen Mitteln anders durchführt als Goethe im Wilhelm Meister mit seinen realistischen. (Aber nicht so sehr anders als Hoffmann im Goldenen Topf). Für Dick kulminiert alles in zwei Fragen: Was ist die Wirklichkeit? Und: Was ist der Mensch? Konkreter: Welche Wirklichkeit wird uns im Zeitalter der Massenmedien präsentiert, und wie kann der Mensch Wahres vom Falschen unterscheiden? Und wie in einer Welt, die durch und durch kommerzialisiert ist, ein wahres Leben behaupten?

 

Die Fragen stellen, heißt – für einen Schriftsteller – sie nicht beantworten, sondern in Szene setzen. Philip K. Dick wuchs in einer Welt auf, deren Wirtschaft gerade den Wandel vollzog von solider amerikanischer Wertarbeit zu massenhafter Billigproduktion. Die «planned obsolescence» wurde erfunden, der «eingebaute Verschleiß» der Geräte, der einen baldigen Neukauf garantiert. In Dicks phantastischer Welt kann da schon mal ein einfacher Handwerker, der sich aufs Reparieren versteht, in den Rang eines Wunderheilers aufsteigen. In der Geschichte Alles hat seinen Preis sind es Außerirdische, sogenannte Biltongs, riesige Protoplasmaklumpen, die ihre Fähigkeit, jedes Objekt kopieren zu können, freundlicherweise in den Dienst der Menschheit stellen, da mit dem letzten Wasserstoffbombenkrieg das Wissen um die Herstellung der einfachsten Gebrauchsgegenstände verlorengegangen ist. Doch spätestens, wenn sie eine Kopie der Kopie herstellen, schleichen sich betrübliche Mängel in die Produktion, immer mehr Dinge zerfallen und zerbröseln, und der kopierte Scotch hat Puddingkonsistenz.

 

Und so läßt sich in all den phantastischen Geschichten des Philip K. Dick immer die reale Wirklichkeit ihres Autors wiederfinden, die nach wie vor auch, und sogar in zunehmendem Maß, die unsere ist: die Welt der Schauspieler-Präsidenten (und Gouverneure), der kollektiven Paranoia (früher «Kommunismus», jetzt «Islam»), der Glücksversprechungen der Werbung und der Unterhaltungsindustrie, der Scheinwelt der Medien, und Dicks Texte wurden daher nicht zu unrecht als Satiren von zuweilen Swiftschen Gnaden bezeichnet.

 

Und doch würdigt auch dies noch nicht Dicks besondere schriftstellerische Leistung. Was uns den einzigartigen Genuß bei der Dick-Lektüre verschafft, ist nicht die bloße Wiedererkennbarkeit der eigenen Wirklichkeit in der phantastischen Überhöhung, die allerdings schon ein großes Vergnügen beschert – nein, der einzigartige PKD-Effekt beim Lesen resultiert aus einem spezifisch literarischen (ha, jetzt also doch!) Verfahren.

 

Es sind zwei Techniken, die sich Dick zu eigen macht und in immer neuen Varianten zur Anwendung bringt. Zum einen die Technik des «personalen Erzählens» (Kafkas bevorzugter Erzählform). Beim personalen Erzählen berichtet der Erzähler ausschließlich aus der Perspektive einer Figur, zwar in seinen, des Erzählers, Worten, aber er kriecht förmlich in den Kopf seines Protagonisten und sieht nur, was dieser sieht. Dies führt Dick in seiner ersten verkauften Erzählung, Roog, exemplarisch vor. Und siehe: Die so gesehene Welt hat mehr mit Wahn als mit Wirklichkeit zu tun (und es liegt nicht daran, daß in diesem Fall der Protagonist ein kleiner Hund ist). Zum anderen die Technik des Perspektivenwechsels, des abrupten Wechsels von einer Perspektivfigur zu nächsten. Es geht dabei um die Konfrontation von einer Sichtweise mit einer anderen, einer Wirklichkeit mit einer anderen – dessen schöne Schockwirkung (immerhin prallen Welten aufeinander) Dick in seiner ersten veröffentlichten Geschichte gleich mit einer besonders einfallsreichen Variante erzielt: In Und jenseits – das Wobb besteht die Pointe gerade darin, daß der Autor für diesen Perspektivenwechsel nicht die Figur wechseln muß. Aber lesen Sie selbst.

 

 

4.

Noch 1989 schrieb Paul Williams (im Vorwort zur Philip-K.-Dick-Biographie von Laurence Sutin): «Dick (ist) noch lange nicht ‹berühmt›. Das hat seine Vorteile. Jeder Leser, der Dick für sich entdeckt, scheint das Gefühl zu haben, daß er auf etwas Unbekanntes und ganz Besonders gestoßen ist.»

 

Das mag sich geändert haben, seit Hollywood den Autor für sich entdeckt hat. Aber es besteht kein Grund zur Beunruhigung. Denn: Dick ist natürlich ganz unverfilmbar. Weil, wie gesagt, der PKD-Effekt vor allem ein literarischer ist. Aber auch, weil man einen ordentlichen Spannungsaufbau bei Dick vergeblich sucht. Frank Rosen im ‹Rolling Stone›: «Das Problem, das Filmemacher fast immer mit Dicks Geschichten haben: ihnen fehlt ein dritter Akt, der einen Film auf 90 Minuten oder mehr bringt.» Es ging Dick eben nicht um Action. Worum es ihm ging, ist in seinen Geschichten nachzulesen. Zum Beispiel in der bereits erwähnten Kleinen Black Box. Das ist eine Erzählungsadaption des Romans Do Androids Dream of Electric Sheep?, der zu Blade Runner wurde, und von der der Autor sagte, daß in ihr die Idee vielleicht besser herauskommt als im Roman. «Wenn das A und O von Science-fiction die Idee ist», schrieb Dick, «dann bleibt die kurze Form wahrscheinlich die SF-Form par excellence.» Ohne die Erzählungen gegen die Romane ausspielen zu wollen – aber in der Meta-Erzählung, die die Sämtlichen 118 SF-Geschichten bilden, haben wir den ganzen Dick und, wer weiß, vielleicht sogar in seiner besten Form. 

 

 

‹Der Aufsatz ist Teil des Begleitbands, des Philip K. Dick Companion, zur Ausgabe der Sämtlichen 118 SF-Geschichten von Philip K. Dick, erschienen im Haffmans Verlag (Haffmans bei Zweitausendeins), Frankfurt a. M. 2008›