Helmuth Plessner ‹4. 9. 1892 Wiebaden – 12. 6. 1985 Göttingen›

 

Studierte parallel Zoologie und Philosophie in Heidelberg, Berlin, Göttingen; war Privatdozent für Philosophie an der Kölner Universität; wegen seiner jüdischen Abstammung 1933 entlasten, floh er zunächst in die Türkei, dann in die Niederlande, wo er seither in Groningen als Soziologe arbeitete. Lebte und überlebte ab 1943 versteckt bei holländischen Freunden. Ab 1946 Ordinarius für Philosophie in Groningen. 1951 erhält Plessner den neu gegründeten Lehrstuhl für Soziologie in Göttingen und ist, vermittelt durch Adorno und Horkheimer, zeitweilig leitender Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung in Frankfurt a. M.; Professur in New York; in den sechziger Jahren Lehrauftrag in Zürich.

 

Zu seinen wichtigsten Werken zählen: ‹Die Einheit der Sinne – Grundlinien einer Ästhesiologie des Geistes› (1923); ‹Die Stufen des Organischen und der Mensch – Einleitung in die philosophische Anthropologie› (1928) – ‹Macht und menschliche Natur› (1931); ‹Lachen und Weinen – Eine Untersuchung der Grenzen menschlichen Verhaltens› (1941); ‹Die verspätete Nation – Über die politische Verführbarkeit bürgerlichen Geistes› (1959; zuerst 1935). – Als Einführung ins Gesamtwerk empfiehlt sich eine Sammlungen mit Aufsätzen, die der Autor (in seinem neunzigsten Lebensjahr) für den Reclam Verlag zusammenstellte: ‹Mit anderen Augen – Aspekte einer philosophischen Anthropologie› (Stuttgart 1982). (Ich würde allerdings zu einer Lektüre von hinten nach vorn raten, also mit dem Aufsatz zur ‹Unmenschlichkeit› beginnen und schließen mit dem Auszug aus den ‹Stufen des Organischen›.)

 

Mit seinem großen Essay von den ‹Grenzen der Gemeinschaft› (1924) unterzieht Plessner die Begriffe «Gemeinschaft» und «Gesellschaft», die Ferdinand Tönnies als Sozialkategorien eingeführt hatte (‹Gemeinschaft und Gesellschaft›, 1887), einer grundlegenden Neubewertung. «Gemeinschaft» und «Gesellschaft» traten seit Tönnies als Gegensatzpaar auf: Die «Gemeinschaft» fungierte dabei als «Basiskategorie», die «Gesellschaft» als «sekundäres, in Politik und Ökonomie zu prekären Abstraktionen tendierendes Phänomen» (Joachim Fischer in seinem GdG-Nachwort; stw, 2002); hier Familien-, Berufs-, Volksgemeinschaft («Rasse») – dort der bloße Zweck- und Interessenverband des öffentlichen Lebens; hier natürliches Biotop – dort großstädtische Entfremdung.

 

Angesichts des aktuellen Erstarkens des Faschismus wie des Kommunismus formuliert Plessner seine Kritik an der «bald international, bald völkisch getönten Verklärung der Schrankenlosigkeit im Miteinander» und dem «Glauben an die Möglichkeit unvermittelter Beziehungen von Mensch zu Mensch» (Plessner). Er deutete andersherum das (gesellschaftliche) Öffentliche als den eigentlichen «Realisierungsmodus des Menschen» und das Politische als originär menschliche Dimension.