Henri Laborit ‹21. 11. 1914 Hanoi (damals Französisch-Indochina, heute Vietnam) – 18. 5. 1995 Paris›

 

Laborit war Mediziner, Chirurg, Chemiker, Neurologe, Verhaltensforscher. Er studierte an der Marinehochschule in Bordeaux und fuhr als Assistenzarzt im Zweiten Weltkrieg auf der ‹Sirocco› zur See. Am 31. Mai 1940 wurde das Schlachtschiff von deutschen Schnellbooten in der Nordsee beschossen und sank. Laborit überlebt, sechshundert Soldaten und sechzig Mannschaftsmitglieder sterben. Laborit arbeitete daraufhin als Allgemeinmediziner und Chirurg in Dakar (Senegal), in Oran (Algerien), in Sidi Abdallah (Marokko) und wurde schließlich nach Paris ans Val-de-Grace-Hospital berufen, wo er sich in der Physiologischen Abteilung mit neuen Techniken der Anästhesie befaßte. Er unternahm Versuche mit der sogenannten «potenzierten Narkose» und «künstlichem Winterschlaf» (Hibernation artificielle). 1950 entdeckte er dabei die antipsychotische Wirkung von Chlorpromazin (CPZ). Unter dem Namen Largactil wurde CPZ weltweit bekannt als erstes Psychopharmakon (Neuroleptikum), das vor allem bei der Behandlung von psychomotorischer Unruhe und Schizophrenie eingesetzt wurde (in Deutschland vertrieben als Megaphen, in den USA ab 1955 als Therazine). Für seine Forschung auf dem Gebiet der postoperativen Krankheiten und des postoperativen Schocks, die zum erstmaligen Einsatz von CPZ als Therapeutikum führte, erhielt Laborit 1957 den Albert-Lasker-Preis, der als Medizin-Nobelpreis der USA gilt. Er war im selben Jahr für den Nobelpreis nominiert, den er aber nicht erhielt.

 

In dieser Zeit wandte sich Laborit von der Chirurgie ab und der freien Forschung zu, vor allem der Erforschung des vegetativen Nervensystems, sowie der Verhaltensbiologie. Er gab die internationale Zeitschrift ‹Agressologie› heraus und war einer der ersten Wissenschaftler, die das Modell des «dreieinigen Gehirns« («Triune Brain») von Paul MacLean in ihren Arbeiten aufgriffen. Ab den sechziger Jahren bemühte sich Laborit darum, die neuesten Erkenntnisse der Neurobiologie einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, in der Überzeugung, dass sie von elementarer Bedeutung auch auf gesellschaftlich-politischer Ebene seien.

 

Zu seinen populärwissenschaftlichen Werken zählen ‹Biologie et structure› (1968), ‹La nouvelle grille› (1974) und – sein nach wie vor bekanntestes Buch – ‹Éloge de la fuite› («Lob der Flucht», 1976), die mit ihrer zentralen These, daß das Grundübel der Menschheit das Denken in Hierarchien und das Dominanzstreben sei, besonderen Anklang bei der 68er-Generation fanden. Alain Resnais verarbeitete Laborits Thesen auf überaus unterhaltsame Weise in seinem Spielfilm ‹Mein Onkel aus Amerika› (‹Mon Oncle d’Amérique›) aus dem Jahr 1980 (mit Gérard Derpardieu, Pierre Arditi und Nicole Garcia), in dem Laborit auch mitwirkt – als er selbst.