Exzesse & Explosionen?

«Die Theorie als solche ist ein Tun – der stets ungewisse Versuch, das Projekt einer Aufklärung der Welt zu verwirklichen.»

Cornelius Castoriadis

 

«Aufklärung ist richtige, volle, bestimmte Einsicht in unsere Natur, unsere Fähigkeiten und Verhältnisse, heller Begriff

über unsere Rechte und Pflichten und ihren gegenseitigen Zusammenhang. Wer diese Aufklärung hemmen will, ist ganz

sicher ein Gauner oder ein Dummkopf, oft auch beides.»

Johann Gottfried Seume

 

 

Warum «Auszüge»? Warum Auszüge aus diesen Werken?

Natürlich um auf diese Werke mit Nachdruck hinzuweisen und auf diesem Wege zur Integral-Lektüre anzustiften.

 

Für mich war und ist das Exzerpieren aber zunächst einmal einem ganz persönlichen Bedürfnis entsprungen, nämlich die «Kernaussagen» zusammenzutragen, die vorher bei der Lektüre mit Häkchen markiert worden waren. Der Vorgang des Abschreibens dieser Stellen hat etwas Anregendes. Die wort- und zeichengetreue Übertragung, die eine Lektüre im Zeitlupentempo erforderlich macht, läßt einen den Text noch einmal ganz neu erleben. Und die durchs Exzerpieren geschaffenen «Stellen» werden zu Inseln im Bedeutungsmeer des Gesamttextes. – Es gibt auch eine pragmatische Seite: Ich werde so schnell nicht dazu kommen, Castoriadis’ «Gesellschaft als imaginäre Institution» erneut zu lesen – es gibt einfach zu viel, was ebenfalls (erstmalig) gelesen werden will. Die Stellensammlung habe ich mir aber schon häufig wieder vorgenommen. Das funktioniert sehr gut.

 

Jedes Werk wurde fast zwangsläufig auf unterschiedliche Weise zitiert: Koestler mit drei längeren Auszügen aus einem einzelnen Kapitel des Werks, Huizinga hingegen so, daß der Argumentationsweg des gesamten Buches womöglich sogar nachvollziehbar bleibt. (Andererseits ergab und ergibt sich in der Zusammenstellung stets eine ganz eigene Dynamik. Nie steht etwas vereinzelt.)

 

Eine Sonderstellung nehmen die Auszüge aus Henri Laborits «Lob der Flucht» ein, weil ich hier nicht aus einer vorliegenden deutschen Übersetzung zitieren konnte, da der von mir geschätzte Autor auf deutsch leider nicht erschienen ist. Bei den zitierten Teilen handelt es sich um die vollständigen ersten beiden Kapitel seines Buches. (Mittlerweile ergänzt um ein paar weitere Fragmente.) Ich hatte die Teile vor einigen Jahren übersetzt, in dem (vergeblichen) Versuch, einen deutschen Verlag für seine «Éloge de la fuite» zu finden, die in Frankreich seit Jahrzehnten ein verdienter «Steadyseller» ist. (Bei A. M. Hocart bin ich inzwischen ebenso verfahren.)

 

Warum Philosophie? Warum Aufklärung?

Philosophie hat neben der Belletristik immer schon eine wichtige Rolle für mich gespielt. (Beides entspringt ja wohl dem Bedürfnis, auf Distanz zu gehen, um einen Überblick zu gewinnen.) Und um was kann es in der Philosophie anderes gehen, als darum, das im 18. Jahrhundert begonnene «Projekt einer Aufklärung» auf jede nur erdenkliche Weise (millimeterweise) voranzubringen?

 

Wieso «Explorationen»?

Ich habe unter diesem Stichwort eigene Texte zu Autoren versammelt, die sich allesamt als «Erkundungen» verstehen, als «Entdeckungsreisen» in (mehr oder weniger unbekannte) literarische Welten. Ausgestattet mit minimalem wissenschaftstheoretischen Reisegepäck und nicht darauf aus, zu urteilen und zu richten, sondern zu beobachten, zu registrieren und zu ordnen (was natürlich nie geschieht, ohne vorher geurteilt zu haben). Um die Daheimgebliebenen anzuregen, sich ebenfalls auf die Reise zu begeben, um den Autor, die Autorin für sich zu entdecken. (Als Student der Germanistik habe ich erlebt, dass die Literaturwissenschaft ihren Gegenstand eher erledigt, statt potentielle Leser zu ihm hinzuführen. Die Interpretation als Ziel und Endzweck der Literatur. Hier genau andersrum: Sinn und Zweck der Literatur ist die Lektüre. Interpretieren ist nichts weiter als verstehen. Und umgekehrt.)

 

Das Titelbild?

Auch eine Form, die Welt zu erkunden. Die übliche, wissenschaftliche. Den gottgefälligen Geodäten habe ich im Wikipedia-Artikel zur «Triangulation» gefunden. (Hat Kafka das Bild gekannt? Landvermesser, Brücke, Schloß – alles da!) Es diente im 17. Jahrhundert zur Demonstration des Verfahrens, wie man mit Hilfe dreier Stäbe ein Landstück vermißt. Zur bloßen Demonstration wäre eine derart detaillierte Naturdarstellung allerdings kaum nötig gewesen. Die gezeichnete Natur plustert sich auf und windet sich geradezu exzessiv, als gelte es der Wissenschaft zu beweisen, daß es genau das nicht gibt, was sie als existent unterstellt: Geraden und Punkte. (Der Hund scheint auch noch etwas links unten im «Off» entdeckt zu haben – Enten zweifellos –, um auch noch das Bildkarree zu sprengen, das in der Natur schließlich ebenfalls nicht existiert.) Der vermessen vermessende Blick des Forschers schafft damit ein sonderbares Zwischenreich, das seinen fast komischen Ausdruck in den entscheidenden drei Stäben findet: Sie sind alle exakt gleich groß – in Zentimetern in der zweidimensionalen Welt des Papiers. Stehen aber doch ganz plastisch in der Landschaft. Und so wirken die hinteren Stäbe mehr als mannsgroß, im Gegensatz zum Stab vorne, der, wenn unser Mann sich nur erst aufrichtet, diesem wohl nur bis zur Nasenspitze reichen wird. Ich mag das Bild in seiner unvermuteten Ambivalenz.

 

Wie geht's weiter?

In lockeren Abständen werden wohl neue Autoren hinzukommen. Auf der Wunschliste stehen gerade u. a. Norman O. Brown, Gregory Bateson, Vilém Flusser, Henri Meschonnic, Gaston BachelardO. F. Gruppe, Elisabeth Lenk (!) – oder dieser pyrrhonesische Skeptiker da, dessen Name mir so gut gefällt: Sextus Empiricus ...

 

Heiko Arntz, Wedel bei Hamburg / Sommer 2012

(aktualisiert Jan. 2023)

Zuletzt geändert / ergänzt: 

«Eigene Beiträge: Eugen Egner: Rezension von Frank Rottensteiner»

«Eigene Beiträge: Der Malteser Falke und sein Schöpfer Dashiell Hammett», 5.11.21

«Henri Laborit: Teil 3 (Glaube)», 24.4.19

«Eigene Beiträge: Barjavel», 10.12.18

«Fritz Mauthner: Zeit (5)», 1.7.18

«Blatt 11» in der «Zettelwirtschaft», 12.6.18.

«Über F. M.», 2.6.18

«Fritz Mauthner: Skeptische Mystik (4)», 29.5.18

Die «Zettelwirtschaft» befindet sich jetzt hier; 30.10.17

«Über A. M. H. 2: Am Anfang war das Ritual», 18.6.17

«Eigene Beiträge: Zettelwirtschaft (10)», 26.5.17

«A. M. Hocart: Der Zweck des Rituals», 23.2.17

«A. M. Hocart: Dünkel», 29.1.17

«A. M. Hocart: Ackerbau», 15.1.17

«A. M. Hocart: Die Seele», 23.12.16

«A. M. Hocart: Psychologie und  Völkerkunde», 25.11.16

«Eigene Beiträge: Zettelwirtschaft (9)», 1.11.16

«Über O. R. 2 + 3», 13.7.16

«Otto Rank: Teil 4» u. «Über O. R.», 4.6.16

«Otto Rank: Teil 1-3», 30.5.16

«Eigene Beiträge: Zettelwirtschaft (8)», 26.8.15

«Eigene Beiträge: Die Groteske und ihr Schräges» 18.8.15

«Eigene Beiträge: Zettelwirtschaft (7)» 18.8.15

«Fritz Mauthner: Beiträge zu einer Kritik der Sprache – Teil 3» 14.6.15

«Fritz Mauthner: Beiträge zu einer Kritik der Sprache – Teil 2» 9.5.15

«Eigene Beiträge: Zettelwirtschaft (6)» 6.5.15

«Eigene Beiträge: Zettelwirtschaft (5)» 29.4.15

«Eigene Beiträge: Zettelwirtschaft (4)» 26.4.15

«Henri Laborit: Teil 3 (Vermischte Auszüge)» 26.4.15

«Über F. M.» 26.11.14

«Fritz Mauthner: Beiträge zu einer Kritik der Sprache – Teil 1» 24.10.14

«Über B.-C. H.» 1.6.14

«Über H. P.« 29.5.14