Der Malteser Falke und sein Schöpfer

Dashiell Hammett

Von Heiko Arntz

 

Dashiell Hammett gilt als Begründer eines neuen literarischen Sub-Genres, der hard-boiled detective fiction, dessen wichtigster Vertreter, neben Hammett, Raymond Chandler ist. Mit ihren «hartgesottenen» Detektiven präsentierten diese Autoren einen Gegenentwurf zu den gentlemen detectives, den vornehmen Privatermittlern der britischen «Whodunit»-Rätselkrimis à la Sherlock Holmes und Hercule Poirot, deren hauptsächliche Beschäftigung es war, mit messerscharfem Verstand und anhand einer übersichtlichen Anzahl von Indizien ein Verbrechen zu rekonstruieren. 

 

Vornehme Zurückhaltung ist nicht die Stärke von Hardboiled-Detektiven. Same Spade, Hammetts private eye in Der Malteser Falke, seinem dritten Roman, ist rau und ruppig. Er teilt aus und steckt ein. Er sammelt nicht Indizien und legt Puzzleteile zusammen, er macht sich die Hände schmutzig. Er wirbelt Staub auf und klopft auf den Busch, in der Hoffnung, dass die Ganoven ihre Deckung aufgeben. Seine Methoden sind fragwürdig und unterscheiden sich nicht immer von denen der Ganoven. Sam Spade ist undurchschaubar und unberechenbar, eigensinnig und immer für eine Überraschung gut – besonders Letzteres eine Qualität, die zuweilen auch seine Widersacher fasziniert. „Bei Gott, Sir, Sie sind ein Bursche, dessen Bekanntschaft zu machen sich lohnt. Ein Original“, stellt Casper Gutman an einer Stelle im Roman fest – und legt am Schluss, gleichsam Fazit ziehend, noch einmal nach: „Ein Original. Jawohl, Sir, kein Mensch weiß, was Sie als Nächstes tun oder sagen werden, aber es wird ganz bestimmt etwas höchst Originelles sein.“

 

Ein character – ein Original – war zweifelsohne auch Sam Spades Schöpfer. Samuel Dashiell Hammett (Dashiell nach dem französischen Mädchennamen der Großmutter) wurde am 27. Mai 1894 im Nordosten der USA, in St. Mary’s County im Bundestaat Maryland geboren. Der Vater arbeitete auf der Tabakfarm des Großvaters. Es gab eine ältere Schwester und bald noch einen Bruder. 1900 zieht die junge Familie nach Philadelphia, 1901 nach Baltimore. Der Vater hangelt sich glücklos von Job zu Job. Er trinkt und spielt, betrügt und schlägt seine Frau.

 

Sam entzieht sich dem Elend auf seine Weise. Sobald er lesen kann, sitzt er bis spät in die Nacht im Bett und liest. Er liest, was das Zeug hält, und es darf gern kompliziert sein. Mit dreizehn ackert er sich durch Kants Kritik der reinen VernunftMit vierzehn besucht er das Baltimore Polytechnic Institute, aber nur für ein Halbjahr. Die Finanzlage ist prekär, Sam muss helfen, die Familie zu ernähren. Er arbeitet als Laufbursche für die Baltimore-&-Ohio-Eisenbahn. Er hasst den Job. Er beginnt zu trinken und sich mit seinem Vater zu streiten. Er kommt unpünktlich zur Arbeit, und sein Vorgesetzter droht mit Rausschmiss. „Diesmal kannst du noch bleiben“, heißt es, „aber versprich mir, dass das nicht wieder vorkommt.“ – „Das kann ich nicht versprechen.“ – „Bleib trotzdem. Wenigstens bist zu ehrlich.“

 

Hammett wechselt die Jobs im Jahrestakt. Mit zwanzig meldet er sich auf eine Stellenanzeige der berühmten Pinkerton’s National Detective Agency, für die er früher schon als Bürogehilfe gearbeitet hat – jetzt wird er selbst ein Detektiv. Ihm gefällt die Arbeit, und er ist gut in dem, was er tut. Oft geht es um Beschattungen. Er wird für Aufträge bis an die Westküste geschickt. Der Job erfordert Ausdauer und Geschick. Und Sitzfleisch, denn man schreibt jede Menge Berichte. 

 

Im April 1917 sind die USA in den Ersten Weltkrieg eingetreten. Im Juni 1918 meldet sich Hammett zum Militärdienst. Er absolviert eine Ausbildung zum Ambulanzfahrer, wird stationiert in einem Militärlager wenige Meilen vor Baltimore, wo er im Oktober an der Spanischen Grippe erkrankt, die weltweit wütet. Hammett überlebt die Grippe, entwickelt im Krankenhaus aber eine Tuberkulose. Im Mai 1919 wird er entlassen. Er wiegt – ein großer Mann von eins fünfundachtzig – noch dreiundsechzig Kilo. Sobald er sich kräftiger fühlt, arbeitet er wieder für Pinkerton, diesmal im Bundesstaat Washington, doch es kommt zu einem Rückfall. In einem Krankenhaus für Kriegsveteranen in Tacoma, Washington, lernt Hammett 1920 die Krankenschwester Josephine Dolan kennen. „Jose“ wird schwanger. Die beiden heiraten und ziehen 1921 nach San Francisco. Auch hier arbeitet Hammett für Pinkerton, doch nur für wenige Monate. Das Klima der Stadt, mit ihrem Nebel und dem kalten Wind selbst im Sommer, ist Gift für einen Tbc-Patienten. Hammett hat bereits Blutstürze gehabt. Er quittiert den Dienst endgültig und beschließt, Schriftsteller zu werden. 

Hammett schreibt Kurzprosa und humoristische Gedichte. Das spärliche Einkommen kommt herein durch eine Teilzeitstelle als Werbetexter für eine Schmuckladenkette. Wenn er nicht zu Hause in der kleinen Küche sitzt und schreibt, sitzt er in der städtischen Bibliothek und liest. Er liest Groschenhefte und Weltliteratur, von den Isländersagas bis zum Ulysses. Er liest Aristoteles und Hegel und Bücher zur modernen Physik. Er schätzt über alles Henry James, aber auch die Franzosen: Anatole France, Flaubert. 

 

Lillian Hellman, Hammetts spätere Lebensgefährtin, hat beschrieben, wie seine lebenslange Lektüre aussah: „Er las Die Bienen: Wie sie sehen und kommunizieren oder Deutsche Büchsenmacher des 18. Jahrhunderts oder irgendwas über Knoten oder Binnenlandvögel. Dann legte er das Buch beiseite und griff zum nächsten, zu irgendeiner Sache, die er gerade lernen wollte. Ich kann mich unmöglich an jedes einzelne Thema erinnern. Ich weiß noch, dass er sich einmal ein ganzes Jahr lang mit der Netzhaut des Auges beschäftigte, mit einer Anleitung zum Blindschach, mit den Isländersagas, dem Leben der Schnappschildkröte, mit Hegel, mit der Frage, ob man mit einem Hörgerät – er hatte sich ein teures gekauft – Vogelstimmen besser hört –, von Hegel natürlich gleich weiter zu Marx und Engels, mit der Fauna der Atlantikküste und schließlich, und das bis ans Ende seines Lebens: mit Mathematik. Kein anderes Thema hat ihn so sehr interessiert wie Mathematik, außer Baseball.“

 

Wer so liest, ist auf der Suche – und vielleicht nicht in Erwartung, jemals an ein Ziel zu kommen.

 

1922 erhält Hammett die erste, alles entscheidende Rückmeldung auf eine seiner Texteinsendungen. Die renommierte, von H. L. Mencken herausgegebene Literaturzeitschrift The Smart Set bringt sein Kurzprosastück „The Parthian Shot“. Hammett ist im Geschäft. 

Zwei Jahre zuvor hatten Mencken und sein Co-Herausgeber George Jean Nathan das Pulp-Fiction-Magazin The Black Mask aus der Taufe gehoben. Man wollte am boomenden Groschenheft-Markt partizipieren. Hier erscheinen seit 1922 Geschichten von Carroll John Daly. Daly hatte einen ersten Hardboiled-Detektiv ins Rennen geschickt. Hammett gefiel das Anti-Whodunit-Muster, er war aber der Meinung, dass man das besser machen könne. Er erfindet die Continental Detective Agency und einen kleinen, untersetzten Agenturmitarbeiter (operative), der mit viel Witz und hoher Rasanz ab Oktober 1923 im Black-Mask-Magazin seine Fälle löst. Der Continental Op schlägt ein. Was folgt, ist die beispiellose Karriere einer literarischen Figur und ihres Autors. 

 

1924 erscheinen allein zehn Op-Geschichten. Hammett zählt bereits zu den populärsten Autoren des Genres. Aber mit Kurzgeschichten war kein Geld zu verdienen. Joseph Shaw, neuer Herausgeber von Black Mask, animiert Hammett, eine Continental-Op-Geschichte in der Langform zu schreiben, und so erscheint von November 1927 bis Februar 1928 in vier Teilen der Roman The Cleansing of Poisonville (Die Säuberung von Poisonville), der als Red Harvest(Rote Ernte) 1928 im New Yorker Verlag von Alfred A. Knopf herauskommen sollte. Knopf war die erste Adresse für neue amerikanische Literatur. Die Veröffentlichung war ein Ritterschlag. Aus dem Lohnschreiber Sam war der Modernist und Innovator Dashiell Hammett geworden. 

 

Im selben Jahr kündigt Hammett einen zweiten Op-Roman an, The Daine Curse (Der Fluch des Hauses Daine). In seinem Begleitschreiben an Knopf schreibt er: „Ich bin einer der wenigen leidlich sprachbegabten Menschen – wenn es denn noch andere gibt –, die die Detektivgeschichte ernst nehmen. Nicht dass ich meine besonders ernst nähme oder die von irgendwem sonst – aber die Detektivgeschichte als Form.“

 

The Daine Curse erscheint im Juli 1929. 1930 folgt The Maltese Falcon (Der Malteser Falke) mit seinem neuen Helden, Sam Spade, und im selben Jahr The Glas Key (Der gläserne Schlüssel) mit Privatermittler Ned Beaumont. Hammett ist voller Ideen und Schaffenskraft. 1934 erscheint The Thin Man (Der dünne Mann) mit dem „Detektivehepaar“ Nick und Nora, in dem Hammett sich und Lillian Hellman porträtiert. Gleichzeitig überrollt ihn eine Welle des Erfolgs. Seine Romane werden verfilmt (Der Malteser Falke gleich dreimal: 1931, 1936 und schließlich 1941 mit Humphrey Bogart). Seine Figuren – der Continental Op, Sam Spade, der „dünne Mann“ – werden (von Ghostwritern) zu Radioserien verarbeitet. (1946 entsteht in Anlehnung an die Figur des Casper Gutman aus dem Falken außerdem eine „Fat Man“-Serie.) Die Auflagenzahlen seiner Bücher steigen, alte Geschichten erscheinen in neuen Magazinen. Als Hammett von MGM unter Vertrag genommen wird, ist er einer der bestbezahlten Autoren Hollywoods. Er schreibt und bearbeitet Drehbücher, er liefert Treatments für Sequels und Spin-offs, und die Tantiemen fließen.

 

1930 zieht er nach New York, ein Jahr später nach Hollywood. Hier lernt er die Schriftstellerin Lillian Hellman kennen. In ihren Memoiren schreibt sie: „Als ich Dash das erste Mal traf, hatte er vier oder fünf Romane geschrieben und war der angesagteste Name in Hollywood und New York.“ Die Prominenz hofiert ihn. Man staunt, dass der Ex-Detektiv und Vater des Haudegens Sam Spade sich als gebildeter Mann mit Manieren erweist, charmant, witzig, hochgewachsen, blendend aussehend. 

 

Hammett genießt das viele Geld und gibt es mit vollen Händen aus. Er schreibt wenig und trinkt viel. Bald trinkt er nur noch. Der neue Roman, auf den alle Welt wartet, wird nie zustande kommen. Hammett wollte sich schon früh von der Genreliteratur ab- und der realistischen Literatur zuwenden. Es sollte ein Absprung werden, doch jetzt scheint er im Leeren gelandet zu sein. 1936 säuft er sich fast zu Tode. Über ein Jahr lang lebt er trocken. 

 

Angesichts der zunehmenden faschistischen Bedrohung in der Welt engagiert Hammett sich politisch. Er wird Vorsitzender eines Komitees von Filmschaffenden, die Spenden sammeln zur Unterstützung des antifaschistischen Kampfes in Spanien. Er beteiligte sich an der Gründung einer Zeitschrift zur „Verteidigung der demokratischen Rechte und zur Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus“ und schreibt ein Manifest gegen die Verfolgung der Amerikanischen Kommunistischen Partei durch das Komitee für unamerikanische Umtriebe – in Hammetts Augen ein protofaschistischer Angriff auf die Bill of Rights. Er unterstützt tatkräftig und mit seinem reichlich vorhandenen Geld die Bildung einer Gewerkschaft der Filmautoren und wird 1941 Vorsitzender der KP-nahen League of American Writers.

 

1942 meldet er sich – siebenundvierzigjährig – zum Militärdienst, um in der Armee gegen den Faschismus zu kämpfen. Er wird trotz seiner fragilen Gesundheit für tauglich erklärt und nach Alaska geschickt, auf die Aleuteninsel Adak, wo es gilt, die Stellung gegen Japaner zu halten, die nie auftauchen werden. Hammett vertreibt sich die Zeit mit der Herausgabe einer Zeitung für die einsamen Truppen hier am Ende der Welt und genießt im Übrigen das asketische Leben, die karge Landschaft und seine Lektüre (Marx, Stokers Dracula, Dalís Hidden Faces, Brontës Sturmhöhe; er ruft eine D.-H.-Auden-Woche auf den Aleuten aus). Die jungen Soldaten um ihn herum nennen ihn „Pop“ oder „Grandpop“ und sind voller Bewunderung, weil der berühmte Mann so gar keine Allüren hat.

 

Es war die letzte friedvolle Phase seines Lebens. Die Hexenjagden der McCarthy-Ära reißen auch Hammett mit in ihren Strudel. 1951 wird er als Zeuge vor den Obersten Gerichtshof geladen. Er soll die Namen von Spendern nennen, die in einen von Hammett mitorganisierten Fonds eingezahlt hatten, der Kautionen für verfolgte Linke bereitstellte. Hammett verweigert die Aussage unter Berufung auf den fünften Zusatzartikel, die dem Befragten das Recht gibt zu schweigen, wenn die Antwort ihn selbst belasten würde. Tatsächlich belastet sich Hammett erst mit dieser Weigerung, denn er kennt die Namen gar nicht. Dies zu sagen, wäre ihm aber bereits als Verrat erschienen. Hammett wird wegen Missachtung des Gerichts zu sechs Monaten Haft verurteilt. Als er das Gefängnis verlässt, ist er siebenundfünfzig, sieht aber aus wie fünfundsiebzig. 

 

Inzwischen ist auch das Finanzamt hinter ihm her. Hammett hat sein großes Vermögen in den Vorkriegsjahren verprasst und sorglos verschenkt. Allzu sorglos. Er wird zur Rückzahlung von über 100 000 Dollar Steuerschulden verurteilt, künftige Tantiemen und Honorarzahlungen werden einkassiert. Hammett zieht sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurück. Ab 1953 bewohnt er ein kleines Landhaus von Freunden nördlich von New York. 1958, als er sich nicht mehr allein versorgen kann, zieht er zu Lilian Hellman in die Stadt. Dort stirbt er am 10. Januar 1961 an Lungenkrebs.

 

 

Der Malteser Falke ist bis heute Dashiell Hammetts berühmtester Roman, nicht zuletzt wegen der Verfilmung von John Huston im Jahr 1941. Aber auch innerhalb des Hammett’schen Werks nimmt der Roman eine Sonderstellung ein. Seine bislang rund fünfundzwanzig Geschichten und zwei Romane um den Continental Op hatte Hammett in der Ich-Form geschrieben. Jetzt wechselt er zur Erzählform der dritten Person, und das hat weitreichende Konsequenzen. Einem Autor, einer Autorin, stehen zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts im wesentlichen zwei Erzählformen zur Verfügung: das Erzählen in der „direkten Rede“ der ersten Person und das personale Erzählen in der dritten Person mit seiner typischen „erlebten Rede“ (95 Prozent aller heutigen Romane verwenden letztere Form). Hammett wählt eine dritte Möglichkeit: das Erzählen in der „distanzierten“ dritten Person (und es streiten sich die Geister, wer diese Form zuerst zur Meisterschaft geführt hat – Hammett oder Hemingway). Im zweiten Kapitel des Malteser Falken sehen wir Sam Spade, der einen Telefonanruf erhält, der ihn vom Tod seines Kompagnons Miles Archer in Kenntnis setzt. In der ersten Person erzählt, würden wir vielleicht lesen:

 

Ich hatte soeben etwas Schreckliches erfahren.

 

In personaler Erzählweise würden wir lesen:

 

Er hatte soeben etwas Schreckliches erfahren.

 

Bei Hammett lesen wir:

 

Er betrachtete finster das Telefon, während er nach dem Beutel Bull-Durham-Tabak und den braunen Blättchen griff, die daneben lagen ... Sorgfältig und bedächtig drehte Spade sich mit seinen kräftigen Fingern eine Zigarette. Er streute genau die richtige Menge braunen Tabak in das gewölbte Blättchen, verschob die Fasern so, dass sie gleichmäßig zu beiden Seiten verteilt waren, mit einer leichten Einbuchtung in der Mitte. Daumen rollten – den inneren Rand des Papiers runter und rauf, unter den äußeren Rand –, und Zeigefinger pressten. Dann glitten Zeigefinger und Daumen über den Papierzylinder bis zu den Enden und hielten ihn waagerecht, während die Zunge den oberen Rand leckte. Linker Zeigefinger und Daumen übten Druck auf ihr Ende aus, während rechter Zeigefinger und Daumen den feuchten Saum glätteten. Rechter Zeigefinger und Daumen zwirbelten ihr Ende und beförderten das andere in Spades Mund.

 

Was denkt der Mann, während er sich die Zigarette dreht? Nichts? Wir wissen es nicht und werden es nie erfahren. Weil wir mit dem distanzierten Erzähler der dritten Person nicht die Gedanken des Protagonisten lesen können. Ich-Erzählung und personale Erzählweise fordern uns zur Identifikation auf. Der distanzierte Erzähler sorgt eher für Befremden. Ein Gefühl, das sich verstärkt, wenn wir wenig später erfahren, dass Spade ein Verhältnis mit der Frau von Archer hat, die er nicht einmal zu lieben scheint. Der Mann ist uns ein Rätsel. Wir müssen uns offensichtlich unsere eigenen Gedanken machen.

Befremdlich auch die äußere Beschreibung unseres Helden: 

 

Samuel Spades Kiefer war lang und knochig, das Kinn ein hervorspringendes V unter dem weicheren V des Mundes. Die leicht zurückgeschwungenen Nasenflügel bildeten ein weiteres kleines V, die gelb-grauen Augen eine horizontale Linie. Das V-Motiv wiederholte sich in dichten Augenbrauen, die von einer Doppelfurche über der Hakennase nach außen führten, und noch ein letztes Mal in hohen Schläfen mit spitzem Haaransatz. Alles in allem sah er aus wie ein umgänglicher blonder Satan.

 

Das ist gewiss keine Beschreibung, wie sie sich die Polizei für ein naturalistisches Phantombild wünscht. Das ist vielmehr eine stilisierte Strichzeichnung, wie man sie aus Comics kennt. Von 1934 bis ’35 sollte Hammett zusammen mit Flash Gordon-Schöpfer Alex Raymond die Comic-Serie Secret Agent X-9 herausbringen, mit der man Chester Goulds erfolgreicher Dick Tracy-Serie Konkurrenz machen wollte. Das Vorbild für Hammetts Spade-Zeichnung war jedoch nicht Dick Tracy, der erst 1931 die Bühne betrat und auch eher rechteckig angelegt war als triangulär. Das Vorbild dürfte vielmehr die Zeichnung eines spöttisch grinsenden Teufels gewesen sein, der als Markenzeichnen allmonatlich die Titelseite der Literaturzeitschrift The Smart Set zierte. 

 

Comicartig ist auch die Darstellung der Actionszenen. Die Szene im fünften Kapitel, in der Spade den Levantiner Joel Cairo entwaffnet, ist eine Abfolge von Panels mit deutlich gesetzten Flugbahn-Bewegungsstrichen. 

Panel: „Cairos Kopf fuhr zurück, aber nicht weit genug – Spades rechter Hacken auf dem Lackschuh des kleinen Mannes sorgte dafür, dass er der Flugbahn des Ellbogens nicht ausweichen konnte.“ Neues Panel: „Er traf ihn unter dem Wangenknochen.“ Neues Panel: „Cairo taumelte und wäre gewiss gestürzt, hätte Spades Fuß ihn nicht festgenagelt.“ Neues Panel: „Spades Arm flog weiter, an dem verblüfften dunklen Gesicht vorbei ...“ Neues Panel: „... und streckte sich, um nach der Pistole zu greifen.“ Neues Panel: „Als Spades Finger sie berührten, ließ Cairo los ...“ 

 

Man vergleiche dies mit der Szene in Hustons Verfilmung: Bogart braucht für das Ganze keine zwei Sekunden.

 

Der Science-Fiction-Autor William Gibson (selbst Schöpfer eines literarischen Sub-Genres, der Cyberpunk-SF) nannte in einem Interview (im August 1986 mit Larry McCaffery) Dashiell Hammett als maßgeblichen Einfluss für sein eigenes Schreiben. Ihn habe die „Übergenauigkeit“ („superspecificity“) begeistert, mit der Hammett gewöhnliche Dinge so schildert, dass sie fremdartig erscheinen – „wie im amerikanischen Naturalismus, nur intensiver, fast surreal“.

 

Dies gilt vor allem für die Darstellung von Körperteilen: „Seine Lider senkten sich über die Augen.“ Ja, worüber denn sonst? Wenn Cairo sich setzt, heißt es: „Er legte eine Hand auf je eine Sessellehne und hielt den schmächtigen Körper dazwischen aufrecht und steif“. Und wenn der junge Wilmer Cook Angst hat: „Das Zittern in seinen Knien übertrug sich auf die Hosenbeine.“ 

 

Nicht zuletzt die Augen sind es, die ein Eigenleben zu führen scheinen und einer ganz eigenen Farbregie folgen. Spades Augen sollen „gelb-grau“ sein, und in ihnen brennt regelmäßig ein „gelbes Feuer“. Lieutenant Dundys Augen hingegen sind grün, und wenn er wütend wird, werden sie zu „heißen grünen Scheiben“. Einmal steht er drohend vor Spade und will diesem am liebsten an die Gurgel gehen – „doch die Entschlossenheit in seinem Gesicht wurde gemildert von feinen weißen Rändern, die in seinen Augen zwischen grüner Iris und dem oberen Lid aufgetaucht waren“. Film-Noir-Ästhetik ist das gewiss nicht, eher ein Verfahren des Zeichentrickfilms (der ab 1930 farbig wird) mit seiner auffälligen Augensprache.

 

Eindeutig filmisch dagegen sind Hammetts geschliffenen Dialoge, die er so nur mit dem distanzierten Erzähler der dritten Person schreiben konnte. Das sah auch John Huston so und übernahm die Dialoge des Romans nahezu eins zu eins in seinen Film. 

 

Der Ich-Erzähler der Continental-Op-Geschichten präsentiert uns seine Fälle mit viel Wortwitz und Ironie. Der distanzierte Erzähler des Falken konstatiert, was wir sehen und hören sollen:

 

[Spade] steckte den Schlüssel ins Haustürschloss. Hinter ihm erklang das schnelle Klacken von Absätzen auf dem Bürgersteig. Er ließ den Schlüssel los und fuhr herum. Brigid O’Shaughnessy eilte die Stufen der Treppe hinauf, schlang die Arme um ihn und sank an seine Brust.

 

Von einem „erzählerischen“ Erzähler erwarten wir, dass er derartige Beschreibungen gefälligst etwas gefällig arrangiert: „Kaum hatte er den Schlüssel ins Schloss gesteckt, als hinter ihm ...“ Hammetts Erzähler ist un-erzählerisch. Was wir an dieser und ähnlichen Stellen lesen, ist ein Drehbuch, im Präteritum verfasst. (Zu dieser Drehbuch-Ästhetik gehört auch, dass Figuren wie Effie Perine und Brigid O’Shaughnessy immer und ausschließlich mit Vor- und Zunamen genannt werden, und ebenso die oft ganz schematische „Er sagte“- / „Sie sagte“-Struktur.)

 

Die distanzierte Erzählform des Falken ist darüber hinaus verantwortlich für eine höchst ungewöhnliche Plotentwicklung. Bis zur Hälfte des Roman ist durchaus nicht klar, was da eigentlich genau gesucht wird. Gleich drei Auftraggeber heuern Spade an, eine Vogelstatuette wiederzubeschaffen. Die Gespräche, in denen es um den geheimnisvollen Wertgegenstand geht (dessen Wert im Fortgang der Handlung buchstäblich ins Unermessliche steigt), haben etwas Irreales (Spade und Cairo reden im fünften Kapitel geradezu halluzinatorisch aneinander vorbei.) Wenn wir im dreizehnten Kapitel endlich erfahren, was Sache ist, scheint aus unserer Detektivgeschichte unversehens die Geschichte einer Gralssuche zu werden – oder die Parodie einer solchen, denn bei diesem Gral geht es nicht um Seelenheil und ewiges Leben, sondern um immensen materiellen Reichtum. Unsere drei Schatzsucher – Gutman, Cairo, Wilmer (wahlweise Brigid) – wurden in literaturwissenschaftlichen Aufsätzen mit den drei Königen aus dem Morgenland auf der Suche nach dem Heil der Welt verglichen (wobei Gutman bereits den richtigen Vornamen trägt – Casper) und der Falke gedeutet als ein Warenfetisch im Marx’schen Sinne.

Und wem das alles zu metaphysisch ist, für den hält der Roman schließlich noch die Parabel vom Pragmatismus bereit – jene Geschichte von Flitcraft, einem gewöhnlichen, unauffälligen Mann, der im Zuge einer existenziellen Krise beschließt, dass alles anders werden muss, bis am Ende seiner Bemühungen wieder alles beim Alten ist. Die Flitcraft-Parabel ist im Roman die einzige erzählerische Episode im klassischen novellistischen Sinn, und präsentiert wird sie uns – ausgerechnet – von Raubein Spade. Er ist eben wirklich immer für eine Überraschung gut.

 

In seinem Aufsatz „The Simple Art of Murder“ hat Raymond Chandler 1944 Dashiell Hammett als einen Pionier gewürdigt, dem wiederholt gelungen sei, was wenigen Schriftstellern nur in Ausnahmefällen gelinge: „Er hat Szenen geschrieben, wie sie zuvor noch niemand geschrieben hatte.“ Und er fährt fort: „Ich bezweifle, dass Hammett dabei irgendwelche künstlerischen Ziele verfolgte.“ Chandler hätte falscher nicht liegen können. Robert Polito betont in seiner Einführung zu Hammetts gesammelten Romanen in der Klassikerreihe The Library of America: „Kein amerikanischer ‚Noir’-Schriftsteller bis Jim Thompson in den Fünfzigern und James Ellroy in den Neunzigern schrieb so ambitioniert, und keiner der frühen Krimiautoren – Chandler inklusive – kommentierte sein eigenes Schreiben so reflektiert und treffend.“

 

„Literatur, so wie ich sie verstehe“, schrieb Hammett 1924, „ist gut in dem Maße, wie sie Kunst ist, und schlecht in dem Maße, wie sie es nicht ist.“ Und sein Verstummen als Schriftsteller nach 1934 (selbst wenn es gewiss kein willentlicher Akt war) begründete Hammett in einem Interview 1957 mit einem selbstkritisch künstlerischen Argument: „Ich habe mit dem Schreiben aufgehört, weil ich das Gefühl hatte, dass ich mich wiederholte. Es ist der Anfang vom Ende, wenn man merkt, dass man einen Stil hat.“

 

 

‹Nachwort zu: Dashiell Hammett, Der Malteser Falke, Neuausabe erschienen im Kampa Verlag, Zürich 2020› 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Umschlagillustration: Bill Brag