Franz Rottensteiner 

Über Eugen Egners Erzählungsband «Ihr Radio hat eine wichtige Nachricht für Sie!» (Verbrecher Verlag, 2021)

 

Eugen Egner ist der führende Kopf unter jenen Autoren, die sich, in Daniel Ableevs Worten, dem Grotesk-Bizarren, Verrückten und «Abgefahrenen» verschrieben haben. Nachzulesen ausführlich im Quarber Merkur 116 (2015): «Weird Fiction. Über das Seltsame in der Prosa von Thomas Ligotti und Eugen Egner». Dort auch ein ausführliches Interview mit Eugen Egner. Ursprünglich durch Loriot zum Haffmans Verlag gekommen, wurden dort seine Bücher verlegt, nach dem Konkurs des Haffmans Verlags bis 2007 bei Zweitausendeins, erschienen Prosabände wie Schmutz (2008), Die Traummdüse (2009), Totlachen im Schlaf (2012) und Die wahren Zusammenhänge (2017) bei Joachim Körbers Edition Phantasia. Egner hat auch zahlreiche Hörspiele geschrieben, Bildbände gezeichnet und zum Teil selbst verlegt. Texte von ihm dienten sogar als Vorlage für Opern.

 

Im Vorwort «Das Gift des toten Dichters» erzählt er in gewohnt unglaublicher Weise, wie das Buch zustande kam. Frau Lindenberg, die «gespenstische Daktylographin» (S. 18), die das Manuskript abtippen sollte, hatte die Größe seiner Arbeit erkannt, ihr Schreibbüro auf der Stelle aufgegeben, alles verkauft und sich fortan ausschließlich für die Veröffentlichung eingesetzt. Manchmal beginnen die Geschichten ganz normal, etwa als Beschreibung einer Reise an die See, wenn auch Bemerkungen wie «der Staat (oder das Finanzamt) zahlt alles» andeuten, dass da etwas ungewöhnlich ist; aber bald machen sich seltsame Erscheinungen in der Topographie oder Architektur bemerkbar und es tritt ein völliger Bruch ein, indem etwa die Menschen, auf die der Erzähler trifft, sich einer Sprache bedienen, die völlig unverständlich ist. Das wirkt erschreckend, aber vor allem verblüfft, überrascht und verwundert es. Es ist keine Literatur des Grauens, sondern des Absurden und Komischen. 

Das Prinzip scheint einfach zu sein, der Leser wird überfallen, mit Verwandlungen konfrontiert, die weder erklärt werden noch erklärt werden können. Das Entscheidende ist jedoch der Fantasiereichtum, mit dem Egner seine Überraschungen präsentiert. Ihm fällt immer wieder etwas Neues ein, auf das der Leser nicht gerfasst ist, selbst, wenn er schon einiges von diesem Autor gelesen hat. Er ähnelt darin Mynona, mit dem Unterschied, dass Mynona hochgradig politisch ist, Zeitumstände entlarvt, während Egners Einfälle allgemein sind, wenn man will, generell metaphysisch ausgerichtet. Der en passant oder abschließend zitierte zweite Satz von Egners Autobiographie lautet folglich auch: «Die Welt hat mich immer gestört.» Zuweilen ist das Absurde schon Teil des Alltäglichen wie in «Große Überforderung», wo der Ich-Erzähler seit seinem zwölften Lebensjahr bei einem staatlichen Betrieb für «digitale Realitätsumwidmung» angestellt ist. Oder ein aufgefangener Satz wie «Der verpuppte Schrecken der Mensurlinie überschattet Generationen» (S. 82)

 

Eines Tages war es wieder Nacht. Ich war zu faul zum Schlafen und blieb lange auf. Die Zeit verwich wie mit grober Feile abgetragen. Melancholisch sann ich dem Duft der Sekunden nach. Der Teppich scshwankte schwer verständlich. (S. 39)

 

Das Geräusch geht vom Keller aus. Als er hinuntergeht, um den Unsinn zu beenden, erfährt er zu seiner Überraschung, dass er in eine Partei zur Beendigung des Unsinns geraten ist. Er macht mit, muss aber erkennen, dass noch ein weiter Weg vor ihnen liegt.

 

Einige Geschichten sind äußerst kurz wie «Brief», was auf Englisch ja kurz heißt: «Allwöchentlich kam ein handgeschriebener Brief. Ich konnte nie auch nur ein einziges Wort entziffern.»

 

Es gibt wirklich keinen anderen mir bekannten Autor, in dem sich der Wahnwitz so geballt und doch so abwechslungsreich findet wie bei Egner, dessen Bücher ein intellektuelles Vergnügen für alle sind, die die Komik des Absurden genießen können. 

 

‹Quarber Merkur, Nr. 123, 2022, S. 221f.›

 

‹Meine Anmoderation bei F*c*b*k und bei Friendica, wo ich den schönen Text mit erhoffter freundlicher Genehmigung des Autors präsentierte, lautet wie folgt:

 

Franz Rottensteiner ist einer der größten Kenner auf dem Gebiet der Science-Fiction und Phantastik nicht nur im deutschsprachigen Raum. Er betreute lange Jahre die Phantastische Bibliothek bei Suhrkamp und weitere wichtige Phantastikreihen u.a. bei Insel, Zsolnay u.a. Bei ihm erschienen zum ersten Mal auf Deutsch Autoren wie Philip K. Dick, Stanislaw Lem, Brian W. Aldiss und Arkadi & Boris Strugatzki. Der von ihm (seit 1963) herausgegebene Quarber Merkur ist das wichtigste Literaturmagazin für anspruchsvolle literarische Phantastik. Wenn nun also ein Franz Rottensteiner in der neuen Ausgabe des Quarber Merkur (Nr. 123) schreibt: «Es gibt wirklich keinen anderen mir bekannten Autor, in dem sich der Wahnwitz so geballt und doch so abwechslungsreich findet wie bei Egner», nun, dann ist das so viel wie ein literarischer Ritterschlag... 

 

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